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«Wir wollten Motorsport wie früher machen!»

Die Background-Story der Ennstal-Classic
von Helmut Zwickl

Es war ein nebeliger Abend in dem trostlosen Ardennen-Nest Hockey, unweit der belgischen Grand Prix-Rennstrecke von Spa-Francorchamps. Michael Glöckner, der mich als Fotograf zu den Formel 1-Rennen begleitete, schlenderte mit mir an diesem Septembertag des Jahres 1992 durch den Nebel, beide hatten wir wieder einmal einen frustrierenden Tag in der «kleinen Welt der Zirkusaffen», wie Niki Lauda damals die Formel 1 nannte, hinter uns. Michael beklagte, dass es immer mehr Sperrzonen für Fotografen gäbe. Ich hatte die Nase voll vom ganzen System: elektronische Sperrkreuze, lächerliche Geheimhaltung, Fahrer, die nichts mehr sagen durften, konnten oder wollten. Ich ahnte, wo die Formel 1 in den kommenden Jahren hinsteuern würde, weg von ihren Fans, eine einzige, politisch gesteuerte Geldverbrennungsmaschinerie von gnadenlosen Egoisten, die sich unter einem schwachsinnigen Reglement bekriegten und von dem sogenannten Concorde Abkommen zur totalen Starre verdammt waren. An diesem Abend fassten wir einen Entschluss: Wir wollten Motorsport wie früher machen – zum Angreifen. Mit den Autos von damals, auf den Straßen von heute. Wie aus einem Munde wurde sofort der Name geboren: «Ennstal-Classic»

Startort sollte Gröbming sein, wo Michael Glöckner Fremdenverkehrschef war. Das Ennstal war inzwischen meine zweite Heimat geworden, seit ich 1974 am Flugplatz Niederöblarn mein Hauptquartier zum Segelfliegen aufgeschlagen hatte.
Dann gab es dieses Gespräch mit Walter Röhrl: Wir machen die Ennstal-Classic, wir möchten dich. Startgeld können wir keines zahlen. Walter, der Große lächelte milde: «Wenn ich in meinem Alter auf Startgeld angewiesen wäre, hätte ich in meiner Karriere was falsch gemacht…»
Und da er nie was falsch macht, gewann er die erste Ennstal-Classic im Jahre 1993. Auf seinem privaten Austin Healey, mit Gattin Monika am Nebensitz.

Am Start standen 35 Autos, darunter Karl Wendlinger, Dieter Quester, ein gewisser Dietrich Mateschitz und Österreichs erfolgreichster Rallye-Pilot Franz Wittmann.
1994, im zweiten Jahr der Ennstal-Classic, erschien erstmals Sir Stirling Moss mit Gattin Susie in Gröbming. Wir lagen alle flach vor ihm, er sollte bis heute die große Galionsfigur der Ennstal-Classic werden und die beiden schwören: «Die Ennstal ist für uns die schönste Rallye der Welt.» Als sich Stirling mit einem Mercedes-Benz 300SL Coupé bei seiner Premiere über den regennassen Österreichring aquaplanierte, wurden alte Erinnerungen wach: Nur drei Kilometer Luftlinie entfernt hatte er 34 Jahre zuvor seinen letzten Auftritt in der Steiermark, als er auf dem Zeltweger Militärflugplatz das große Formel 2-Rennen auf einem Porsche von Rob Waker gewann, vor Hans Herrmann übrigens, der bei der zweiten Ennstal einen Porsche 550 Spyder fuhr.

Die 2. Ennstal-Classic 1994 endete mit dem bisher einzigen Sieg eines Damenteams: Jutta Roschmann/Nicole Neukunft gewannen auf BMW 507 vor Franz Wittmann/Jörg Pattermann auf meinem Lamborghini Islero, Stirling und Susie Moss wurden Neunte. Ing. Peter Falk, legendärer Porsche-Rennleiter, war in den ersten Jahren ein wertvoller Berater.

1996 wurde erstmals die «Alfred Neubauer-Trophäe» für den Gesamtsieger vergeben, eine Auszeichnung, die der berühmte Rennleiter von Mercedes-Benz noch zu Lebzeiten persönlich an Leute wie John Surtees, Jim Clark, Jackie Stewart, Jochen Rindt und Niki Lauda verliehen hatte.
Bei der Mille Miglia lässt man das Starterfeld immer wieder gegen den Großstadtverkehr anrennen, aber die wunderschönen Sight-Seeing Touren durch jedes Raubritter-Nest bringen die Teilnehmer in permanenten Zeitrückstand, worauf ein Straßenrennen angesagt ist, wie es nur in Italien toleriert wird, wobei die Toleranzgrenze in den letzten Jahren deutlich gesunken ist. Bei der Ennstal gingen wir einen anderen Weg. Wir führen die Route durch die letzten verkehrsarmen Gegenden der Alpen. Und es ist sportlicher, die Bremsen auf der Nockalm-Abfahrt in die Knie zu zwingen, als die alten Motoren im Stau von Rom niederzukochen.

1996 war die Typenvielfalt größer denn je, und wir ließen uns auf 94 Starter erweichen. Die Nachfrage überstieg bei weitem das Angebot. Unsere Philosophie wurde die Basis für den Erfolg der Ennstal: Wir sind Verfechter des puren, sportlichen Autofahrens ohne Schnittwechsel und Computerhilfen. Wir sind keine Schnauferlausfahrt, keine Mathematikschularbeit und kein Geschicklichkeitsbewerb. Es gilt generell ein 50 km/h Schnitt, der in den Sonderprüfungen zwischen geheim postierten Lichtschranken auf die Hundertstelsekunde einzuhalten ist.
Die Ennstal-Classic lotet die Grenzen dessen aus, was mit den Autos von einst auf den Straßen von heute machbar ist. Die Markenvielfalt ist uns alles, sie soll geprägt sein von besonderen Autos, die zu ihrer Zeit in Technik und Sport Maßstäbe setzten und heute Kultobjekte sind.

Von der ersten Ennstal 1993 bis zur 20. Auflage im Jahre 2012 ist das Baudatum der zugelassenen Autos gleichsam «eingefroren»: Es muss vor dem Stichtag 31.12.1972 liegen.
Und bevor die Ennstal zu einem Computer-Spiel ausartete, wir waren schon nahe daran, haben wir einen entscheidenden Schnitt gemacht: Es sind ausschließlich mechanische Uhren/Stoppuhren/Armbanduhren mit Analog-Anzeige erlaubt, und alle Geräte, deren Anzeigen ihren Input aus elektronischen Sensoren beziehen, sind verboten.

1997 gewann Walter Röhrl mit Peter Falk auf Porsche 356 die Ennstal zum zweiten Mal. 1998 hieß der Gesamtsieger Rauno Aaltonen mit Mike Höll als Co auf BMW 2002Ti. In den folgenden Jahren drückte der heute nicht mehr lebende Rudolf Schraml der Ennstal seinen Stempel auf: er gewann in den Jahren 2000, 2001, 2004 und 2005.

2001 hatten wir bereits 145 Teams aus zehn Nationen am Start. Die Ennstal wurde für die ganze Region ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Umwegrentabilität stieg auf rund 10 Millionen Euro, und jährlich ergeben sich 20.000 zusätzliche Nächtigungen. Über 190 Medienvertreter sind in Gröbming akkreditiert, jährlich werden aus über 300 Nennungen 220 Teams ausgewählt, und die TV-Berichterstattung im ORF, ATV, ZDF, 3Sat, Sat1, n-tv, SF2 weitet sich aus.

Mit Chopard sprang 2008 die hochkarätigste Uhren-Firma der Klassik-Szene auf. Beim Chopard-Grand Prix von Gröbming finden die großen Stars im Cockpit ihrer alten Siegerautos ihre Jugend wieder.

Klaus Bischof, Leiter des fahrenden Porsche-Museums, bringt seit Beginn das Familien-Silber nach Gröbming. Mercedes-Benz schickte die legendären Silberpfeile der Vorkriegszeit zum Demo-Grand Prix nach Gröbming. 2001 durfte John Surtees den legendären Mercedes 300SLR #722, mit dem Stirling Moss 1955 die Mille Miglia gewann, über die gesamte Ennstal-Strecke pilotieren.

Auch die Werks-Museen von Alfa Romeo, Auto Union, BMW, Jaguar, Opel und Lamborghini tauchten immer wieder mit ihren Preziosen auf, nach dem Motto: «Tradition ist die Bewahrung des Feuers, nicht der Asche.»
Die Ennstal mobilisiert auf ihrer Dreitages-Bühne das »Who is Who« der internationalen Renn-, Rallye-, Sport-, TV- und Management Szene. Nirgendwo ist die Legenden-Dichte höher, wenn man sich vor Augen hält, wer seit 1993 als Hauptdarsteller auf dieser Bühne aufgetreten ist:
Niki Lauda, Emerson Fittipaldi, Mario Andretti, John Surtees, Sir Stirling und Lady Susie Moss, Sebastian Vettel, Nigel Mansell, David Coulthard, Tony Brooks, Jochen Mass, Gerhard Berger, Derek Bell, Nino Vaccarella, Nanni Galli, Maria Teresa de Filippis, Hans Herrmann, Marc Surer, David Coulthard, Dieter Quester, Reine Wisell, Michele Alboretto, Eddie Irvine, Christian Klien, Mike Thackwell, Dr. Helmut Marko, Hans Stuck, Herbert Linge, Paul Ernst Strähle, Roland Asch, Rolf Biland, Erik Carlsson, Walter Röhrl, Christian Geistdörfer, Michele Mouton, Björn Waldegard, Rauno Aaltonen, Hannu Mikkola, Ove Andersson, Arne Hertz, Tony Fall, Franz Wittmann, Rudi Stohl, Ernst Harrach, Jutta Kleinschmidt, Adrian Newey, Peter Sauber, Jean Sage, Mario Illien, Dr. Mario Theissen, Dr. Wolfgang Porsche, Ernst Piech, Dr. Franz Josef-Paefgen, Dr. Hartmut Warkuss, Dr. Jürgen Stockmar, Dr. Ulrich Bez, Jo Ramirez, Franz Klammer, Michael von Grüningen, Markus Wasmeier, Thomas Muster, Tobias Moretti, Peter Kraus, Klaus Wildbolz, Roland Düringer, Rudi Roubinek, Christian Clerici, Robert Palfrader, Gerald Friedle alias DJ Ötzi und »Mr. Bean« Rowan Atkinson.

2008 stand im Zeichen einer einzigartigen Zusammenkunft. Der «CLUB INTERNATIONAL DES ANCIENS PILOTES DE GRAND PRIX F.1» war bei uns zu seinem Jahrestreffen eingeladen. Der Legenden-Club präsentierte sich mit seinen Mitgliedern als das größte Formel 1-Starterfeld, das es jemals in Österreich gab.
Es war ein weiter Weg vom Start mit 35 Autos im Jahre 1993 bis ins Jahr 2012. Wir mussten jahrelang den Behörden, den Sponsoren, den Medien erklären, was die Ennstal-Classic ist und sein soll. Heute beträgt der Print-Medien-Wert laut «Observer» -Auswertung fast 2 Millionen Euro.
Auch heuer ist wieder der Red Bull-Ring in Spielberg Etappen-Ziel und zugleich Sonderprüfung, und die alte Autostadt Steyr stellt in einer Zeitkontrolle die Kult-Objekte der Ennstal wieder in die Auslage.

Als vor Jahren eine Baugesellschaft zwei Tage vor dem Start den Sölk-Pass für Asphaltierungsarbeiten sperren wollte, konnten wir das dank unserer Schwerkraft im letzten Moment verhindern. Was wir nicht verhindern konnten, war folgendes. «Mr. Bean» alias Rowan Atkinson, der Weltstar, der 2004 mit seinem privaten Jaguar Mark VII mitfuhr und eine Begeisterungswelle entfachte, wie wir sie noch nie erlebt hatten, wollte Samstag Nachmittag, nachdem die Rallye zu Ende war, eine ganz private, ungestörte Kaffeepause an einem ruhigen Fleck einlegen.

Der Schlosswirt in Moosheim empfahl ihm den stillen Ort Pürgg, obendrein eine Sehenswürdigkeit, das Kleinod der Steiermark. Als Rowan nach Pürgg hinauf kam, war dort oben ein großes Feuerwehrfest in Gang. Er wurde sofort erkannt und war chancenlos. Mr. Bean musste unzählige Autogramme schreiben, bevor er im Garten der Gastwirtschaft Krenn den Tag in Ruhe ausatmen konnte…
«Gerhard Berger hat mich gewarnt», sagte Rowan, «in Österreich werden dich deine Fans erdrücken. Er hatte recht…»