von Stefan Pabeschitz
Der Krampus hat ausgedient, aber wir brauchen was zum Fürchten, weil wir nicht fleißig und artig genug waren. Also stehen statt der Rute im Fenster jetzt die in beidem vorbildlichen Chinesen in der Tür. Die werden’s aber auch noch lernen.
Gestehen wir es uns ruhig ein: Wir haben es verpennt. Das ganze China-Ding sowieso und die Sache mit den Autos im Speziellen erst recht. Dabei hätte nur jemand genauer hinschauen müssen. Schon 1958, im Urknall-Jahr der chinesischen Automobilindustrie, haben die Leute genau elf Monate gebraucht, um nach Maßnehmen an einem eigens dafür importierten Simca ihren ersten fahrtüchtigen Pkw hinzustellen. Vier Tage davon haben sie auf das Design verwendet. Drei weitere, um einen Vierzylindermotor von Mercedes zu kopieren und einzupassen, dann noch eine Woche für das Getriebe. Offiziell nennt man so was Reverse Engineering, das ist der Fachbegriff für Klauen. Oder meinetwegen halt Kopieren – „Hauptsache, es passiert intelligent.“ sprach der große Vorsitzende. Widerspruch schätze er nicht.
Das grundsätzliche Setup zwischen dem Westen und China hat sich seit Jahrtausenden nicht geändert. Sie waren immer viel mehr als wir, dazu fleißig, geschickt und vor allem untereinander meist nicht zerstritten – die Sonnenseite einer langanhaltenden Zentral-Macht. Neu ist nur, dass wir ihnen jetzt nicht mehr wurscht sind. Als Markt, auf dem sie einkaufen, Firmen und Marken nämlich, und uns zugleich etwas verkaufen – Waren aller Art, darunter neuerdings auch Autos – eignen wir uns ganz toll. 600 Millionen Langnasen, die Geld auszugeben haben, für Dinge, die sie nicht mehr selbst herstellen wollen. Falls es im chinesischen Legendenschatz ein Schlaraffenland gibt, dann ist es das Europa des 21. Jahrhunderts.
Das Bild des Westens von China ist traditionell von zwei Faktoren bestimmt: Missverständnis und Aberglaube. Schon als Marco Polo seine recht blumig ausgeschmückten Reisebereichte veröffentlicht, haben die Menschen kein Problem mit der Erwähnung von Drachen und anderen Fabelwesen. Die Existenz von Feuerwerken und Papiergeld glauben sie ihm hingegen nicht. Was echt blöd war, weil Schießpulver und Cash sich als Hauptzutaten für das Errichten einer Weltmacht erwiesen haben. Selbst die in dieser Hinsicht nicht zimperlichen USA schauen sich bei China inzwischen gerne das eine oder andere Detail ab. Die Mauer etwa: Trump möchte auch gerne eine bauen, weil das Original so funktioniert hat – schließlich hat er festgestellt, dass es in China praktisch keine Mexikaner gibt.
Wir hingegen streiten seit 800 Jahren lieber über die Genesis der Pasta – kam die nun mit Polo aus China oder hat sie nicht doch ein Bauer in den Abruzzen erfunden? Worin sich eine weitere grundlegende Eigenschaft der Europäer zeigt: Das Glorifizieren des Nebensächlichen. Wir vernesteln uns leidenschaftlich bei Dingen, die tatsächlich vollkommen schnurz sind, während das große Ganze unbeaufsichtigt daherrollt. Parallelen im Automobilwesen sind nicht zufällig: Kann man den neuen Alfa Romeo noch als echten Alfa bezeichnen? Sind die vertikalen Nieren bei BMW ein Fort- oder Rückschritt? Darf der Porsche 911 ein Hybrid werden? Während wir über so was diskutieren, kaufen die Chinesen Volvo, Rover, MG und Smart, setzen länderweise verteilt mit geschätzt einem Dutzend eigenen Marken nach Europa über und wenn sie den Elektronik-Hahn zudrehen, fahren wir im Alltag wie bei der Ennstal Classic – also mit Vergaser und Unterbrecher-Zündung, weil sonst nichts mehr da ist.
Das scheint uns allerdings nicht viel zu kümmern. Gefühlt streiken wir lieber, für eh irgendwas. Die 32-Stunden-Woche etwa würde einen guten Chinesen in blanke Verzweiflung stürzen – er wäre Mittwochnachmittag damit fertig und wüsste nicht, was er mit dem Rest der Woche anstellen soll – außer vielleicht einen zweiten Job annehmen. Die meisten Leute dort verbringen ihre Abende nach dem zwölfstündigen Arbeitstag am PC. Aber nicht zum Zocken, sondern für ihr Studium – wer keinen oder auch nur einen Abschluss hat, ist auf dem Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig. Bei uns stammeln Jobsuchende was von Life-Work-Balance und haben nicht durchschaut, dass es bestenfalls eine Work-Life-Balance ist. Gerüchteweise sind die chinesischen Wörter für Leben und Arbeit übrigens identisch, was die philosophische Balancefindung deutlich vereinfacht. „Finde etwas, was du gerne tust und du musst nie wieder arbeiten.“ lautet ein sehr weiser Leitsatz, der übrigens von Konfuzius stammt. „Und wenn nicht, dann mach gefälligst gerne, was du tust.“ hätte der große Vorsitzende wahrscheinlich pragmatisch ergänzt. Und dann ist das eben so.
Böse Zungen behaupten ja, wir erleben gerade ein Remake der Spätantike. Wir, also Europa, spielen Griechenland – Kulturstifter, ansonsten aber bedeutungslos. Amerika in der Rolle von Rom – noch Herr der Welt, aber in sich tief gespalten und knapp vor dem Exitus. Das nächste Volk steht aber schon in den Startlöchern, um zu übernehmen – nur dass es keine ungewaschenen Germanen mit Speer und Schild mehr sind, sondern gepflegte Chinesen mit Harvard-Abschluss.

„Millionenquiz-Frage: Von welchen Hersteller kupferten die Chinesen
ihren ersten „eigenen“ Motor ab? Am besten klaut man bei den Besten – und
zu denen gehörten damals nun einmal Mercedes“

„Perfektion ist nett, also der kleine Burder von Kompost.
Schrauben hingegen macht glücklich. Die Freude, wenn das blecherne
Haustier nach einem technischen Kollaps wieder erwacht, ist unvergleichlich.“
War’s das also? Es war sehr schön, hat uns gefreut und tschüss? Aber bitte – die Gegenwart mag zwar mau sein und die Zukunft ungewiss. Aber dafür haben wir eine batzen Vergangenheit, und die besteht nicht aus ein paar hübsch bemalten Vasen und 10.000 langweiligen Terrakotta-Soldaten. Wir können mit unserer rumfahren, zum Beispiel durch das letzte Paradies, aber auch an jedem schönen Tag, den der Klimawandel uns schenkt. Dabei den Wind in den Haaren spüren, uns die Gehörgänge vom Auspuff-Sound massieren lassen und den Geruch von Super 100 inhalieren, der pure Oktan-Hedonismus eben. Wir haben’s erfunden. Das Auto selbst, viel wichtiger aber den Genuss rundherum. Und heute: Diese ganze auf Effizienz gebürstete Zweckmäßigkeit, die sterile A-nach-B-Zwänglichkeit – wer hat das eigentlich verbockt? Nicht vergessen, die Zwangsverbravung mit unzähligen Assistenzsystemen – in dem Ausmaß ist vernünftig wie tot, nur vorher. Der Wettlauf, wer noch mehr davon anbietet, geht in die falsche Richtung – auf Dauer wird deswegen bald keiner mehr Neuwagen kaufen.
China will alles perfekter machen. Was aber nicht zugleich besser ist – diese feine Unterscheidung muss es noch lernen. „Perfektion ist Lähmung“, stellte schon Winston Churchill fest und der sollte es wissen – immerhin hat er in steter Whiskey-Laune mit jeder Menge Improvisation einen Weltkrieg gewonnen. Offenbar braucht die Erkenntnis in China aber Zeit. Seit zwei Jahren dürfen Oldtimer in die Volksrepublik importiert werden. Der deswegen erwartete Hype hat nicht stattgefunden, alte Autos interessieren dort so gut wie niemanden. Vielleicht würde es den Chinesen mehr Spaß machen, sie nachzubauen, wie Hallstatt. Dann gäbe es endlich Alfa Romeo Giulias ohne hakeliges Getriebe, Triumph Spitfire, die kein Öl sabbern und Citroen DS mit funktionstüchtiger Hydraulik.
Aber wollen wir das? Eben nicht. Wir stehen auf das Unperfekte, die schlimmsten Garagen-Kinder sind uns die liebsten und wenn wir mit den Kisten irgendwo ausrollen, geht uns das Herz vor Glück über, falls sie röchelnd doch wieder ins Leben zurückfinden. Der Hang zum Edel-Schrott ist zumindest ein probates Gegengift zur grassierenden Perfektions-Sucht. Vielleicht sollte es Oldtimer auf Krankenschein
geben – die helfen etwa gegen Alterungsbeschwerden und sind viel erfreulicher als die Werbespots im Hauptabendprogramm, wo kreuzfidele Senioren Stuhl-Löser, Adult-Windeln und Pilz-Mittelchen anpreisen. Als Schmerz-Therapie sind sie ebenfalls unschlagbar, sogar gegen den über Europas Schwanengesang. Falls sie das demnächst einem interessierten Besucher erklären wollen: Der Mandarin-Begriff für klassisches Automobil lautet 老爷车.

„Hallstatt war gestern – morgen bauen die Chinesen vielleicht automobile
Klassiker nach. Dann gäübe es endlich Oldtimer ohne Macken. Wie langweilig.“

„Schöner fahren statt wohnen: Freude, Wind, Sound und Geruch – ein Klassiker
spricht alle Sinne an, das macht seinen Reiz aus. Die reinste Medizin, aber
nicht auf Krankenschein zu haben.“