Herbert Völker, langjähriger Herausgeber der „Autorevue“ und wohl einer der profundesten Journalisten und Schriftsteller des deutschsprachigen Raumes zum Thema Automobile begleitete die Ennstal-Classic ab Tag eins und publizierte seine umfangreichen, mit feinstem Pinsel gezeichneten Berichte über die Erfahrung Ennstal-Elassic in honorigen Publikationen von Autorevue bis Süddeutsche Zeitung. Wir bringen hier ein „Best of“ seiner Erzählungen vom engagierten Autofahren
im letzten Paradies.
Die erste Ennstal-Classic findet 1993 statt. Herbert Völker startet auf einem Fiat 1100 S von 1948.
An meinem Freund Helmut Zwickl schätze ich das klare Wort, vielleicht das klarste in der Formel-1-Welt seit dem Tag, da Jochen Rindt zum ersten Mal einen Cooper-Maserati gezupft hat. Zwickl jedenfalls sagte vor ein paar Monaten: „Ich mach‘ eine Rallye für klassische Autos. Sie ist einmalig. Ennstal, Berge, Dachstein, die Schrecken des Eises und der Finsternis. Wir, der Glöckner und ich, laden nur die Besten ein. Die Besten aus der klassischen Szene, mit ihren geilen Geräten, 904 GTS und so weiter, und die Besten aus der anderen Welt, den Röhrl, den Wendlinger, den Wittmann, …“
Ich unterbrach ihn: „Ich stelle mich.“
Bei der technischen Abnahme erhielt unser Glanzstück zusammmen mit einer falsch zusammengebauten Corvette die schlechteste Note aller gewerteten Autos für den Technischen Zustand: 4, Mangelhaft, macht 240 Schlechtpunkte. „Das kommt davon“, erklärten wir den betreten Herumstehenden, „weil er nicht bloß echt und alt und schön ist wie all diese sonntagspolierten Autos hier, sondern weil er wahrhaftig ist. Derselbe Sitz seit 45 Jahren, abgewetzt und durchgewalkt, da hat schon Apruzzi einen fahren lassen, die Bernsteinkugel am Schalthebel, die trägt den Schweiß des Comirato …“,
„… und der brutale Blechtreiber hier vorn am Scheibenrahmen?“, fragte der kecke Joe Ofenböck, ein Guru für antike Fiats.
Gutmütig antwortete ich: „Hast du von den umbrischen Wölfen gehört, wie sie rasend vor Hunger in Schnee und Eis jedes Fahrzeug verfolgten, in den alten Tagen, wie man fahren musste um Leben und Tod? Da konnten sich schon Rahmen verwinden und Scheiben ins Freie drängen. Glaubst du, im nächsten Ort, bei minus zwanzig, im Schneesturm, haben sie dann fein geklebt, gepresst und getrocknet? Sie haben einen Blechtreiber ins Alu gerammelt, und ab ging die Post, vorne Foligno, hinten die Wölfe. Jeder Blechtreiber ist eine Narbe des Schicksals.“
Erlebnisse: Der Griff ans Schalterchen fürs linke Wischerchen-Motörchen, und der Griff ans Schalterchen fürs rechte Wischerchen-Motörchen. Und wie sie brav tiiick-taaack machen, die kleinen Wixerln! Oder: Der Tritt auf die Bremse. Es ist ein wertneutraler Vorgang. Erst beim dritten Hinlatschen bemerkst du eine gewisse fragende Verwunderung des Fahrkörpers, danach ist Fading. Dies bedeutet, dass man dem Berg, also dem Berg an sich, mit Achtung entgegentritt. Rauf wegen des Einser-Reindrückens und Jaulens und Grammelns, und runter wegen der ungebrochenen Lebenslust.
1948 war Tazio Nuvolari 55 Jahre alt und schwer lungenkrank. Er hatte auch seinen zweiten Sohn verloren, und als er sich in der Nachkriegszeit noch einmal ans Lenkrad setzt, dann ist er einer, „der nichts mehr zu verlieren hat und an den Rennen die einzige Erfüllung seines Daseins findet, die ihm noch bleibt. Das alte Feuer flackert wieder auf, doch nicht die Leidenschaft ist der Funke, sondern die nackte Verzweiflung.“ (Steinemann).
Mit einer heroischen Mille Miglia 1947 auf dem kleinen Cisitalia (der übrigens bei der 30. Ausgabe der Ennstal-Classic mitfährt, und zwar mit Startnummer 31!) hat Nuvolari die Italiener aufgerüttelt, im Jahr darauf ist er so krank, dass er die meiste Zeit in einem Kloster am Gardasee verbringt. Aber als Enzo Ferrari erfährt, daß Alfa Romeo dem Alten einen Wagen für die Mille Miglia geben will, bietet er selber einen Tipo 166 an. Gegen seinen früheren Dienstgeber Alfa ist ihm alles recht (als Ferrari später die Alfas im Grand Prix schlägt, wird er scheinheilig jammern: „Ich habe meine Mutter getötet.“)
Zehn Jahre nach seinen letzten großen Siegen rafft sich Nuvolari also wieder auf, und wir müssen uns die unglaubliche Nachkriegsnot des gedemütigten Italien vorstellen, wo die Menschen nichts anderes hatten als ihre alten Mythen und neuen Hoffnungen, und wie sie gierig drauf waren, Wunder zu erleben. Es muss so gewesen sein, dass ganz Italien an den Radioapparaten hing, abgesehen von den Millionen an der Strecke. Nichts konnte dieser Stimmung mehr entgegenkommen als die Wiedergeburt des Wildesten und Tapfersten, und als Nuvolari tatsächlich in Führung ging (gegen Burschen wie Ascari auf Maserati, Taruffi auf Cisitalia und Cortese und Biondetti auf Ferrari), war Italien vollkommen aus dem Häusl. In dieser unendlich aufgeheizten Stimmung passiert folgendes:
UNFALL! Nuvolari kann weiterfahren, ohne linken Kotflügel und Verkleidung.
FÜHRUNG IN ROM, Herausforderung des Schicksals, denn der Führende in Rom siegt niemals am Ende.
OHNE MOTORHAUBE! Der Wagen ist von dem Unfall so verzogen, daß die Haube nimmer passt, also läßt Nuvolari sie entfernen.
BLUTSTURZ! Er spuckt immer wieder Blut, im Radio schildern sie, wie Nuvolaris Taschentücher ausschauen.
ER STÜRMT ÜBER DIE PÄSSE! Am Futa und Raticosa nimmt er ihnen noch einmal Zeit ab, ist uneinholbar.
SITZ GEBROCHEN! Nuvolari schmeisst ihn weg, Bauern geben ihm einen Sack Orangen, darauf hockt er nun.
HINTERER FEDERBOLZEN GEBROCHEN! Das Auto schlingert wie wild durch die Gegend, trotzdem:
35 MINUTEN FÜHRUNG IN BOLOGNA!
28 MINUTEN IN MODENA!
DER FERRARI IST UNFAHRBAR!
NUVOLARI GIBT NICHT AUF!
KEINE BREMSEN MEHR!
DAS ENDE!
Italien dreht das Radio ab. Mag gewinnen wer will. Es fehlt noch die Geschichte mit dem Priester. Eine Version besagt, dass Nuvolari in seinem zerlemperten Auto saß und ein Priester kam, um ihn zu trösten und zu versorgen. Die zweite, bessere, Version: Enzo Ferrari hatte Angst, Nuvolari könnte bis zum Tode weiterfahren und organisierte telefonisch einen Priester, der sich auf der Straße entgegenstellte. Nuvolari musste anhalten, der Priester sagte: „Mein Sohn, du hast kein Recht, dein Leben wegzuwerfen.“ Daraufhin beendete Tazio Nuvolari das letzte große Rennen seines Lebens.
Ich habe diese Geschichte auch schon im Ennstal erzählt, vor dem Start, ich wollte ja Reklame machen für unser Auto, das keiner kannte. Ich meine, drei dieser kleinen Schüsseln waren hinter Nuvolari hergehechelt, wurden dann nur von Biondetti im übrigen Ferrari geschlagen. Aber die Leute heutzutage haben überhaupt keine Pietät mehr. Was glauben Sie, hat Organisationsleiter Zwickl gesagt? „Wenn der Bischof Krenn am Stoderzinken steht, musst aufhören, Herbie.“
Ennstal-Classic 1995: Herbert Völker startet als Co-Pilot von Jochen Mass auf Mercedes 300 SE von 1963.
Der Nachtprolog machte mich sehr traurig, was die offenen Autos betraf, denn der Regen war schlimm. Der arme Quester im 328er-BMW (27 Jahre später wieder dabei, in exakt der gleichen Besetzung!). Er hatte mir im Hotel einen seiner fröhlichen Streiche gespielt (echt urgeil superneu: Brille verstecken!), aber ich hatte ihm längst verziehen, drum tat es mir so leid, dass er jetzt im Nassen sitzen musste. Gib acht auf deine Nieren, rief ich ihm zu, als er von der Startrampe rollte. Unser Auto war ideal. Erstens war es bummfest geschlossen, zweitens hatte es in der Exotensammlung meiner Rallyetiere noch gefehlt. Der 300 SE ist ein seltenes Urviech. Die Nachtfahrt war insofern bedeutsam, als sie den Säulentacho unseres Autos gut zur Geltung brachte. Ich bin vernarrt in Säulentachos, und die teuren Mercedes-Modelle der frühen sechziger Jahre waren die ultimative Ansage, was Säulentachos betrifft. Die honigfarben leuchtende Säule wohnt in einem kleinen Schrein aus Wurzelholz und klettert hurtig auf und ab, das ist sehr viel sportlicher als etwa die liegende Breitbandwurst im Opel Kapitän jener Tage.
In der Nachtrast in Schladming (warmes Büffet!) hielt unser Teamkollege zwei Plätze für Jochen und mich frei. Damit war die ganze Rallye gewonnen, ich meine, das hört sich ja immerhin so an: Du steigst aus dem Auto und kommst in die Kneipe und Stirling Moss sagt: „You have to try the sawmeesn“, und du sagst: „Sawmeesn, are you sure, Stirling?“ Moss: „Absolutely.“ Ich strich dreimal ums Buffet, dann sagte ich zu einer Dirndlträgerin: „Can I have a bit of sawmeesn?“ „Oh yes, Sir“, sagte sie wonniglich, und ich kehrte selbstverständlich mit einer Saumeise an den Tisch zurück. „How right you are, Stirling!“ Sowas stählt ein ganzes Team.
Morbid-süßsaurer Duft zieht ins Cockpit wie der Furz eines marzipangefütterten Moschusochsen, und du weißt, hinter der nächsten Kurve geigt Erik Carlsson auf dem Zweitakt-Saab.
Ennstal-Classic 1996: Mass/Völker starten auf Mercedes SSK, Baujahr 1928
Nicht sehr vielen Menschen auf der Welt würde ich im SSK den Beifahrer abgeben, vor allem wenn es über 27 Berge und Pässe geht, wo schon die kurze Wahl des falschen Pedals dich ins Nirwana köpfeln ließe. Der SSK von 1928 hat nämlich die Kupplung links, Gas in der Mitte, Bremse rechts, erst ab Anfang der Dreißiger Jahre wurden bei allen Autos die Pedale im heutigen Sinn angeordnet. Die etwa halbstündige Kaltstartzeremonie halten wir vor unserem Quartier ab, dem Landgasthof St. Georg, der bis dahin zur Hotelbruderschaft der Silence Hotels gehörte.
Von Anfang an sind wir als Rechtslenker in Rechtskurven sehr stark, geradezu flüssig. Bei Linkskurven habe ich erstens Jochens Ellbogen im Gekröse, zweitens kommt er mit dem Nachfassen schlechter zurande, jede Kurve ist ein regelrechter Kraftakt, das Viech hineinzuzwingen. Der Motor macht wundersüße Geräusche, ich meine, wenn man diese Art von Geräuschen mag. Er schiebt naturgemäß sehr satt unten raus, der angenehmste Drehzahlbereich liegt zwischen 1500 und 2500/min, darüberhinaus wird er sehr laut und irgendwie gewalttätig. Allerdings kommen wir mit dem Kompressor nicht ganz klar. Er sollte sich über normales Kickdown zuschalten. Bei Vollgasstellung sind Getöse und Schub aber so gewaltig, dass wir nicht ganz sicher sind, wie weit da der Kompressor schon mitspielt.
Bis sich durch einen Zufall alles aufklärt. Beim Überholen bleibt Jochen länger als üblich auf Kickdown, und über das Grammeln und Plotzen und allgemeine Getöse legt sich ein entsetzlicher markdurchdringender heiserer Schrei, wir schauen uns ganz glücklich an, jetzt sind wir komplett!, und der weiße Riese zieht noch einmal mächtig durch und drückt seine zwei Tonnen spurtmäßig den Berg rauf.
Für die Abschlussprüfung durch die Straßen von Gröbming hatten wir 3 Minuten und 40 Sekunden Zeit. Man darf natürlich auch ganz langsam fahren, richtiggehend schleichen, bloß nicht stehenbleiben. Wir zerlegten die 3:40 in zweiundzwanzigtausend Hundertstelsekunden, indem wir ganz langsam schauten und dachten und mit unheimlicher Langsamkeit die Stoppuhr beobachteten. Wir wurden dadurch sehr müde und bekamen innerhalb von drei Minuten großen Hunger und Durst. Für die letzten paar Meter wollten wir uns tausend Hundertselsekunden gönnen, und ich hielt dem Jochen die Stoppuhr vor die Nase und sein Gasfuß wurde leicht wie die Libelle über den Seerosen. Der weiße Riese spürte unseren heiligen Ernst, für Caracciola und Neubauer und den alten Ferdinand!, und in der zweiundzwanzigtausendsten Hundertstelsekunde schob er ganz zärtlich seine mächtige Schnauze in den Lichtschranken.
Der Sprecher jubelte: „Unglaublich, Startnummer 3, Jochen Mass, null Abweichung, auf die Hundertstelsekunde genau“, aber das konnte uns wirklich nicht überraschen.
Ennstal-Classic 1997: Wieder Mass / Völker, wieder Mercedes, diesmal 300 SLS, der Paul O’Shea Wagen.
Die große Tauernrunde ging über elf Stunden und neun Pässe. Die Dohlen krächzten in der Kälte, der Regen kam quer, und über der Nock verhallte der letzte Pfiff der Murmeltiere. Ihr Chef rief zum Winterschlaf. Unser Auto war eine badewannenartige Auslegung des Fortbewegungsgedankens. Wo selbst sehr offene Automobile noch eine Windschutzscheibe vorfinden, hatten wir einen schmalen Plexi-Streifen als Abrisskante und Tropfenbeschleuniger. Der Mann neben mir bot wenig Trost. Jochen Mass war jahrelang zur See gefahren, tausend Nächte in der Gischt gestanden und hatte den Großen Bären gecheckt. Nach der Formel1-Zeit querte er den Atlantik im Ballon und wasserte vor Labrador.
Ich indes bin ein Kind der Stadt, hab den Großen Bären kaum geschaut, wasserte nie vor Labrador und brauche seit drei Jahren eine Lesebrille. Lesebrille ist deshalb blöd, weil sie das heroische Moment des kaltnassen Offenfahrens banalisiert, diese stolze Gebärde des Erdenwurms gegen die Elemente. Die Nieren im Wasser, mit heißem Herzen und frostiger Stirn, da tritt ja einiger Zivilisations-Trotz zutage, aber die Darstellung leidet, sobald der Navigator die Sturmbrille hochschiebt und ein waschelnasses Hilfsgerät zur Nase nestelt.
Das bedeutsamste Ereignis der Rallye war der heroische Moment auf dem Klippitztörl, als der Fahrer von Startnummer 57 seinem Beifahrer eine schwarze Pudelhaube schenkte, die jener auf Art der kaschubischen Bauern unter die Ledermütze stopfte, eine unschlagbare Kombination. Von der Mode her war es etwas bedenklich, aber schlagartig kehrten die hellen Gedanken wieder, die dieser hohen Stirn schon längst entflohen. Einer dieser hellen Gedanken ging so: Wir saßen nicht nur in einem raren Juwel der Motorsportgeschichte, sondern in einem genau 40 Jahre alten Klassiker, den es aber vor zehn Jahren noch gar nicht gegeben hatte.
Ennstal-Classic 2001: Herbert Völker startet als Co von John Surtees, das Kampfgerät: Der legendäre Mercedes 300 SLR von 1955 mit der Startnummer #722, mit dem Stirling Moss die Mille Miglia gewann.
Ein bissl komisch ist es beim Frühstück, wenn wir im „St. Georg“ beinanderhocken, John Surtees, Stirling Moss und seine Suzie, und dann steigen die Mosses in einen Jaguar, Surtees und ich in den integralsten Moss-Mercedes, den es je gab, nie waren die Namen Moss und Mercedes enger verknüpft als bei jener sagenhaften Mille Miglia. Der Kardantunnel läuft schräg von links vorn nach rechts hinten in den Silberpfeilen, im Grand-Prix-Wagen W196 genauso wie im SLR #722. Das bedeutet, dass John mit gespreizten Beinen drin hockt. Der Beinraum für Fahrer und Beifahrer ist tatsächlich im Verhältnis 2:1 geteilt, was seinerzeit für Dennis Jenkinson nicht unbedingt ein Problem darstellte. Jenks war 1,55 m hoch, und manchmal war sein berühmter Bart sozusagen länger als er.
Die ultimative Schenkelklemme kenne ich vom Bugatti 35. Der Bugattista sagt vor dem Einsteigen (leise, nicht als Show) „Hooo, hopp“, geht dabei ein bisschen in die Knie, lässt das Becken nach vor und in die Höh schnalzen, sichert die gewonnene Position der Weichteile durch einen Griff an den Overall und fädelt rasch ins Auto ein. Als 2ohc-Pilot, würde der Techniker meinen. Dementsprechend sagen Bugattistas vor dem Aufbruch im Wirtshaus nicht etwa , On y“, sondern „On va jeter les couilles“; wir schupfen die Goggerln rauf.
„What are you doing?”, fragte John befremdet.
„I am adjusting my.. uh… goggles.“
John musterte mich von unten bis oben.
„Your … what?”
„It’s an Austrian expression.”
Niki Lauda fährt ein paar Demorunden mit dem D-Type-Jaguar, dem edelsten aus der Familie. Zum Quatschen kommen wir kaum, weil die Autogrammjäger ohne Gnade sind. Soll ja sein. Trotzdem darf man nachdenken. Was das für einen Sinn haben soll: Dass das Auftauchen eines bekannten Gesichts nicht innigliche Freude an der Betrachtung auslöst, sondern den Reflex, dem raren Geschöpf ein Blattl Papier unter die Nase zu reiben, somit den Zauber des Zusammentreffens aufs Gröbste banalisierend.
„Hast du schon einmal drüber nachgedacht, Niki?“
„Ist mir wurscht. Nur beim Essen mag ich‘s nicht. Messer und Gabel in der Hand, Schnitzel im Mund und ein Papierl unter der Nasn, das ist fad.“
Wie viele Autogramme er in seinem Leben wohl geschrieben hat, alles in allem? Er scheint noch nicht ernsthaft nachgerechnet zu haben. Ich versuche eine Schätzung: Zwei Millionen? Drei Millionen? – Keine Ahnung.
„Und wie viel Autogramme hast du selber schon gesammelt, Niki?“
»Ein einziges, im ganzen Leben.»
„Von wem?“
„Kommst nie drauf.“
„Sag‘s.“
„Fats Domino.“
Herbert Völker über seine Piloten und andere Mitstreiter aus dem Starterfeld:
Jochen Mass:
Die wesentlichen Arten, wie ein Mensch autofährt, sind im Deutschen säuberlich sortiert. Es sind praktischerweise einsilbige Wörter mit dem Vokal u, und zwar nur u. Man fährt:
Auf Druck oder Zug, mit Ruck, Schub oder Schwung, grundsutzluch.
Jochen Mass fährt auf Zug, und ich bin süchtig danach. Auf-Zug-Fahren ist souveräner als Auf-Druck-Fahren, und das hat nichts mit Front- oder Heckantrieb zu tun, sondern es ist die Art, wie der Fahrer den Motor an den Zügeln hält. Er nimmt ihn kurz, immer straff, knapp am Kernigen, aber fernab von allem, was sich hysterisch anfühlte oder danach klänge. Das spürt nicht nur der Motor, das spürt die ganze Kiste, jedenfalls die alten Autos, die sind am Anfang ganz knorrig und bockig, sie schütteln sich irgendwie zusammen, und wenn sie den richtigen Fahrer merken, werden sie auch selber immer dichter und kerniger und damit folgsamer. Sie bleiben in den Federn, wie es sich gehört, rasten nicht aus, machen keine Hupfer und ziehen den Dämpfern keine langen Ohren.
Diese Art des Fahrens ist voller Harmonie, da gibts über hunderte Kilometer keinen Ruck und keinen Zucker am Pedal, und die Reindln werden ausgeschmiert in langen eleganten Wischern. So macht das Bewegen der alten Renn- oder Sportwagen unglaubliche Freude, und auch das Beifahren, weil du in diesem Zustand der logisch richtigen Bewegung bist und nicht irgendwie durch die Gegend stotterst, dass die Bandscheiben schlackern.
Big John Surtees:
Zwischendurch wurde ich an John weitergereicht. Wie wir alle wissen, wird John Surtees bis in alle Ewigkeit der einzige Mensch bleiben, der je Weltmeister auf zwei und vier Rädern wurde, weil das einfach nimmer vorstellbar ist, dass der beste Biker vom Rad steigt und sich in die Kiste setzt und dann wieder der Beste des anderen Haufens wird. Für soviel lässige Phantasie ist einfach kein Platz mehr auf der Welt. Seine Bike-Jahre waren die 50er, die Formel-1-Zeit waren die 60er, und 1964 wurde er Weltmeister auf Ferrari. Der nächste Ferrari-Weltmeister war erst Niki Lauda, elf Jahre später.
Ich bin viermal mit John gefahren. Beim ersten Mal ging es schief, schon am ersten Abend. Ich will mich nicht ausreden, dass die Lichter eines Autos von 1952 im Regen so sind, als würden hastige Reiter mit flackernden Kerzen vorauspreschen, es war jedenfalls so, dass wir geigten wie die Weltmeister, aber irgendwie in die falsche Richtung. Klärendes Gespräch:
„John?“
(John hört nix, hat den Zweier eingespannt, 6000/min.)
„U-uh. JOHN?“
(Nimmt den Dreier, lockert Öhrstöpsel).
„John. I messed it up. I mean, we are in the shit.“
„Oh.“
Pause.
„Oh. Really?“
„Yes.“
„Oh.“
Ich war so wütend auf mich, dass ich in der Nacht nicht eine Minute schlafen konnte. Statt dessen hörte ich dauernd Kühe brüllen, was mir nicht so schnell aus dem Kopf ging, und auf der langen Tauernrunde sagte ich irgendwann zu John:
„Last night, did you hear the cows?“
„What?“
„The cows.“
John nestelt am Ohr und holt den Stöpsel raus. Ich weiß, warum die schreien, sagt John, ich erzähl’s dir beim nächsten Stop, führt den Stöpsel in den Gehörgang, hakelt sich in den Dreier runter und lässt die Maschine kommen. Ab 4000 bist du sowieso stumm und taub in diesem Auto.
Vor der Zeitkontrolle. John Surtees: „Es war die Tourist Trophy 1956 auf der Isle of Man, Morgentraining ab 6 Uhr früh, natürlich ohne Frühstück, immerhin hat Cadbury am Start einen Stand mit heißer Schokolade. Ich war der erste Fahrer, der rausging, du musst dir vorstellen, es ist phantastisch, an einem wunderbaren Sommermorgen in die Ebene rauszufahren, as you snick the bike into top gear. Nirgendwo hast du einen reineren Klang von deinem Bike als an einem solchen Morgen, ich dröhne da als erster in die friedliche Einsamkeit, die Senke von Bray Hill, ups, die Kompression, und jetzt das Gas weit offen, clipping the corners, die Straße windet sich durch Ligusterhecken, ich komm um eine Kurve und – da springt eine Kuh über die Hecke.
Da war nicht der Funken einer Chance, sie zu vermeiden. Weisst du, was sie mir nachher gesagt haben, warum die Kuh völlig wahnsinnig über die Hecke gesprungen ist?“
„Keine Idee“, sage ich.
„Sie haben ihr zu früh ihr Kalb weggenommen. Da drehen die Kühe durch und springen über Hecken. Da schreien sie auch so komisch. Die Kuh, die du in der Nacht vor dem Hotel gehört hast: Der hat man sicher das Kalb weggenommen.“
„Mmh. Was passierte dann eigentlich, mit dir und der Kuh und dem Bike auf der TT?“
„Ich bin weit geflogen und gut gefallen, hatte nur Prellungen und Schürfungen. Der Kuh ging’s nicht so gut. Die MV war kaputt, aber wir hatten eine Ersatzmaschine. I won the race.“
Ich bin süchtig nach solchen Geschichten, noch dazu im Original, von den Menschen, die sie wirklich erlebt haben, und die Ennstal hat mir zu vielen davon verholfen.
Über „Mr. Bean“ Rowan Atkinson:
Stirling Moss hin, John Surtees her, Fitti oder Niki, alles nix gegen Mister Bean. Er heißt Rowan Atkinson. Stirling Moss hatte dem gestandenen Racing Freak erzählt, dass es drüben in den österreichischen Bergen eine fantastische Rallye gäbe, wunderschön, sportlich, aufregend, und überdies: „Dort hast du deine Ruhe. Dort kennt dich kein Schwein.“ Von wegen: Atkinson wurde ansatzlos weggefegt von der Liebe der Massen. Das Mister-Bean-Geschrei in Verbindung mit der natürlichen Wucht des steirischen Wesens erreichte beim ersten Vorstart in Gröbming eine Bedrohlichkeit, dass der gute Mann entnervt in sich zusammensackte und bei geschlossenen Fenstern geradeaus stierte.
Da war höchste Gefahr einer plötzlichen Abreise. Ordner verschafften ihm ein wenig Luft und man gab ihm den Rat, zu den jeweiligen Startzeiten erst möglichst spät zu kommen und bei jenen Zeitkontrollen, die man üblicherweise mit Vorzeit erreicht, erst entsprechend später einzufahren. Das funktionierte nicht schlecht, zumal hinter dem Ungestüm der Fans auch Herzlichkeit deutlich wurde. In der Nachtetappe saß ein riesiger Teddybär auf einer Scheune, mit Scheinwerfern angestrahlt, wie auch das Transparent „Welcome Mister Bean“. Ähnliches passierte öfter, da legte sich die Beklemmung des Heißbegehrten, er ließ das Fenster runter und unterschrieb, was immer man ihm unter die Nase hielt.
Unverhoffterweise wurde ich zu einem Dinner an Atkinsons Tisch gebeten. Vernünftigerweise wird man zu Tisch bei Rowan Atkinson nicht versuchen, besonders witzig zu sein. Es entwickelt sich somit ein Gespräch über das Wetter, die fremde Landschaft mit ihren schroffen Bergen, grundsätzliche Befindlichkeiten und edle Automobile. Ich saß dem Mann genau gegenüber und dachte, an diesem Menschen würde niemand etwas auffallen. Er sah normal gut aus, trug ein außergewöhnlich buntes, aber geschmackssicheres Hemd.
Plötzlich, fast hätte ich es übersehen, weil ich selber am Reinschaufeln war, sackte die Unterlippe ab, die Stirn zerlegte sich in sechs Querfalten von geometrischer Strenge, die Nase erhob sich zu De-Gaulle-hafter Würde, während sich die Augenlider senkten zu belämmerter Ratlosigkeit, prächtig gedeckelt von mächtigen Brauen. Nun kamen auch die Ohren zu Leben, erst in der Höhenlage anmutig zur Seite strebend, feinst gezeichnet in ihrer markanten Dimension, und wenn er plauderte, schaute oder fragte, wenn er innehielt oder am geschnetzelten Rindfleisch knabberte, für den Voyeur vis-à-vis ergab sich das beglückende Gefühl: DER IST SO, ALLES ECHT, der braucht nur er selber zu sein, und du pischt dich an, leise glucksend vor Vergnügen. Dazu ein Tonfall von feinstem, was sage ich: betörendstem Englisch, so müssen die Helden des Evelyn Waugh gesprochen habe, oxfordisch aus der Muttermilch, was bei ihm ja auch geografisch hinkommt.