Am 11.September 1955 gewann Juan Fangio den Grand Prix von Italien in Monza auf Mercedes. Zweiter wurde Piero Taruffi ebenfalls auf Mercedes. Das war der letzte Sieg eines reinrassigen Mercedes-Silberpfeils. 57 Jahre später gewann am letzten Sonntag erstmals wieder ein Mercedes-Silberpfeil einen Formel 1 Grand Prix: Nico Rosberg holte sich das Rennen in China.
Die Mercedes-Silberpfeile anno 1955 kamen aus Stuttgart, sie waren beste schwäbische Ingenieurskunst und Handwerksarbeit. Die Mercedes-Silberpfeile von Nico Rosberg und Michael Schumacher entstehen in England. Die Zeiten haben sich seit Fangios Monza-Sieg geändert, die Formel 1 auch.
Fangios Mercedes W196 hatte von vielen anderen einzigartigen Details abgesehen, einen revolutionären Einspritzmotor mit Zwangsventilsteuerung der hohe Drehzahlen verkraftete ohne zu verenden. Der W196 konnte gegen Ferrari, Maserati und Lancia seine konkurrenzlose Standfestigkeit ausspielen, aber als größter Faktor zum Sieg, gilt heute noch Juan Fangio. Aerodynamik war damals kein Thema. Heute ist sie alles, trotzdem führen die Reifen des Monopolisten Pirelli in einer noch nie dagewesenen Weise Regie. Reifen waren in den großen Reifen-Kriegen wo Michelin, Bridgestone und Goodyear mitspielten immer ein entscheidender Faktor, aber heuer sind sie die reinste Lotterie, weil sie nur in einem ganz kleinen Temperatur-Fenster optimalen Klebstoff bieten. Wer da rausfällt, fährt auf Glatteis.
Nico Rosberg siegte in China, weil sein Mercedes genau auf diese kleine «Schießscharte» des Reifen-Optimums abgestimmt war.
Und Brawns Leute haben obendrein noch eine Art F-Schacht System erfunden, das den Top-Speed in den DRS-Zonen um gute 15 km/h erhöht.
Was sich heute als Mercedes-Formel 1 Team darstellt, hatte bewegte Gründerjahre. Die Deutschen kamen erst später ins Spiel. 1997 wurde das Tyrrell-Team von British American Tobacco aufgekauft, um ab 1999 für British American Racing ein Formel 1-Spielfeld zu schaffen. Ab der Saison 2000 bekam der BAR Rennstall Honda-Motoren, 2004 schien sich die große Geldvernichtung auszuzahlen: Platz zwei in der Konstrukteurs-WM, Platz drei mit Jenson Button in der Fahrer-WM. Am 1.1.2006 übernahm Honda den Rennstall. 2007 sammelte Honda nur 8 WM-Punkte in der Konstrukteurs-WM. 2008 wurde Ross Brawn Teamchef, in der Konstrukteus-WM holte man 14 WM Punkte, das war der lächerliche neunte Rang.
Am 5. Dezember 2008 verkündeten die Japaner den Ausstieg aus der Formel 1, sie wollten nicht länger ihr Gesicht verlieren. Im März 2009 schenkten sie Ross Brawn zwar für einen symbolischen Pfund das Team samt Werk in Brakley, aber in Wahrheit floss durch die japanische Pipeline aus vertragstechnischen Gründen weiterhin massiv Geld nach England. Es war geradezu ein Hohn für die Japaner, dass sie einen Titel finanzierten, den Brawn GP mit Mercedes-Motoren errang, denn offiziell durften sie ja nicht mehr dabei sein…
Brawns Team hatte in den Grauzonen des Reglements für 2009 den Stein der Weisen gefunden: einen Doppel-Diffuser, der mehr Anpressdruck lieferte. Bis die Konkurrenz den Unterboden kopierte, war die halbe Saison um, und Jenson Button war längst auf Titelkurs.
Brawn war jahrelang der Architekt der einzigartigen Ferrari-Siegesserie gewesen, jedoch mit Honda und Mercedes machte er die Deals seines Lebens.
Am 16. November 2009 passierten zwei Weichenstellungen gleichzeitig. Daimler-Chef Dieter Zetsche gab bekannt, dass sich die Daimler AG mit 45.1 Prozent in das Brawn GP Team einkauft, weitere 30 Prozent wurden vom Daimler-Großaktionär Aabar übernommen, Ross Brawn behielt sich 24.9 Prozent, der Rest gehört vier weiteren Eigentümern.
Gleichzeitig gab er bekannt, dass die 40% Anteile an der McLaren Group zurückverkauft werden.
McLaren war seit 1995 für die Stuttgarter Edelmarke ein Fass ohne Boden geworden. Mercedes zahlte für Motoren, zahlte für das McLaren-Technologiecenter, zahlte für die Entwicklung des Super-Sportwagens, zahlte die Fahrergagen: eine einzige Geldverbrennung seitens der Silberstern-Marke, die Ron Dennis raffiniert und dominant in Gang hielt.
Trotzdem Mika Häkkinen Mercedes gepowert 1998 und 1999 Weltmeister wurde, Lewis Hamilton den Titel 2008 für McLaren-Mercedes holte, war die Kosten-Nutzenrechnung längst entgleist.
Allein 2007, so stehts in der Bilanz, investierte Mercedes 240 Millionen Dollar in das Ron Dennis-Team. Heute ist Mercedes nur noch Motorenlieferant für McLaren.
Wenn auch der offizielle Firmensitz des Mercedes AMG Petronas F1 Team die Daimler-Zentrale in Stuttgart ist, so entstehen die Formel 1 Autos im englischen Brakley mit einer multikulturellen Belegschaft. Die Motoren kommen aus Brixworth, dem ehemaligen Illmor-Werk, das 2005 als 100% Tochter der Daimler AG in «Mercedes AMG High Performance Powertrains» umbenannt wurde.
Das ist der große Unterschied zur Fangio-Ära wo die Formel 1-Rennwagen tatsächlich noch «made in Germany» waren. Aber das Know How und die Infrastruktur für ein Formel 1-Team gibt’s nur in England.
Norbert Haug, der das neue Mercedes-Team in die Schienen hievte, und Michael Schumacher aus der Frühpension zurückholte, bekam immer wieder von der Stuttgarter Heimatfront Gegenwind, wo Gewerkschaftler, Betriebsräte und Aktionäre die Geldvernichtung in der Formel 1 anprangerten. Aber solange der oberste Boss Dieter Zetsche hinter der Formel 1 steht, fährt die Eisenbahn drüber.
Fest steht auch: im Vergleich zur den McLaren-Jahren ist die Formel 1 mit dem Brawn-Modell geradezu ein Schnäppchen geworden.
Aber der Sieg in China, einem wichtigen Exportmarkt für den Silberstern, dürfte auch Dieter Zetsche den Rücken stärken.
Das erwähnte F-Schacht System erinnert an 2009. Wie beim Doppel-Diffusor wird die Konkurrenz auch hier den Kopierstift ansetzen müssen.